Kurz nach einem unweihnachtlichen Weihnachten in Taiwan brechen mein Kommilitone Pierre und ich auf zu einem Kurztrip der besonderen Art: Wir fliegen für fünf Tage nach Tokio, um ein anderes Gesicht Ostasiens kennen zu lernen. Pierre besucht Freunde und Bandkollegen und ich will diese fast legendäre Stadt erkunden und verstehen, was den Mythos Tokio ausmacht.
Mit Japan Airlines habe ich den ersten pünktlichen Flug meines Lebens erlebt, allerdings auch den ersten, bei dem mir fast schlecht wurde. Für den Landeanflug nur wenige Minuten aufzuwenden, ist etwas bedenklich, sämtliche Passagiere stolperten grün im Gesicht ihrer Wege, ich habe einige Nachbarn nach den wasserdichten Tüten greifen sehen. Kurz gesagt, meine Begeisterung hält sich nach dem Hinflug noch in Grenzen.
Es empfängt uns eine laute Stadt, eine Stadt der Menschenmassen und eine Stadt, die mir fremder erscheint, als ich es erwartet hätte, zumal ich die letzten Monate wenn auch nicht in Japan, so doch im fast unmittelbar benachbarten Taiwan verbracht habe. Gewöhnungsbedürftig in einer modernen Metropole wie Tokio finde ich, dass kaum jemand Englisch spricht. Eigentlich niemand, dem ich begegnet bin, hat ein Wort von dem verstanden, was ich gesagt habe. Selbst im Starbuck’s wurde ich nur hilflos angestarrt, als ich mein gewünschtes Getränk nicht in japanischem Englisch ausgesprochen habe, obwohl der englische Name neben den japanischen Zeichen ebenfalls auf der Karte zu finden war.
Zum Glück kann Pierre Japanisch, ich musste ihn leider öfter zu Hilfe bitten als mir lieb war. Unglücklicherweise hatte er meine Fähigkeiten zu hoch eingeschätzt. Zwar kann ich chinesisch lesen, da die einzelnen Zeichen im Japanischen allerdings eine komplett andere Aussprache haben, lässt diese sich für mich trotzdem nicht erschließen. So bleibt auch mir ein U-Bahn Fahrplan ein Buch mit sieben Siegeln und ich muss auf Pläne mit Umschrift zurückgreifen oder die Stationen anhand der Informationen abzählen, die Pierre mir gibt. Glücklicherweise finde ich es sowieso am angenehmsten, eine Stadt zu Fuß zu erkunden. Tokio zeigt sich als unvergleichliche Metropole mit vielen sehenswerten Ecken. Ein bisschen erscheint es wie ein europäisches Gesicht Asiens. Ja, ein zweites Paris mag sich einem auftun, wenn man sich die durchgestylten Japanerinnen ansieht, die teuren Boutiquen und… den Eiffelturm. Der Tokyo Tower mutet tatsächlich an wie das Pariser Wahrzeichen, bei Nacht bietet er eine schöne Aussicht für diejenigen, die die Geduld haben, auch länger als eine Stunde in der Schlange zu stehen. Zum Glück gibt es die Möglichkeit, sich die Wartezeit mit Snacks zu verkürzen, die direkt hier angeboten werden.
Ich greife generell eher auf Süßes zurück: Wer Vegetarier ist, hat es schwer, alle anderen werden von der gesunden Küche begeistert sein. Während Pierre in Fischsuppen, Nudeln mit Hühnerfleisch und Sushi schwelgte, hatte ich in Restaurants immer wieder große Probleme, verständlich zu machen, was ich wollte und was das Problem war mit Gerichten, die auf Basis von Fleisch- oder Fischbrühen zubereitet werden. Letzten Endes musste ich leider auf Supermärkte und Salate zurückgreifen, wobei sich Pierre trotzdem als mein Vorkoster verdingen musste. Einen Salat mit Stäbchen zu essen, war immerhin auch eine Erfahrung, die ich vorher noch nicht gemacht hatte. Ebenso eigenartig ist eine Bestellung in einem Lokal in Tokio: Oftmals werden Essensmarken für die gewünschte Speise an einem Automaten gezogen, die an der Theke einzulösen sind. Die Bestellung wird dem Gast daraufhin in Sekundenschnelle vor die Nase gesetzt. Im Supermarkt findet man dagegen verschiedene Sets in der Auslage, die ein typisches japanisches Essen mit unterschiedlichen wohlgeordneten Komponenten beinhalten, komplett mit Stäbchen.
Auch auf der Straße rauchen zu dürfen vermisse ich bei meinen Spaziergängen durch Tokio. Teilweise drängen sich zwanzig Personen an einem winzigen Raucherpunkt, der sich natürlich auch bei der klirrenden Kälte des Dezembers im Freien befindet. So wird sowohl Touristen als auch Landsmannen der Nikotingenuss bald zum Ärgernis – das kann nur gesund sein. Ich gebe zu, trotzdem in einigen unbeobachteten Momenten das Gesetz gebrochen zu haben. Rauchen mag man in Japan also nicht.
Was Japaner mögen, sind dagegen Unterführungen – so kann man sich auf kilometerlangen Strecken zu Fuß unter Tage bewegen, in Gängen, die den Charme einer Berliner U-Bahnstation haben.
Einzigartig ist auch das unglaubliche Gedränge über Tage, wie ich es noch nirgends sonst erlebt habe. Die ständige Präsenz von Menschen in der unmittelbaren Umgebung mag sogar dem europäischen Großstädter fremd vorkommen, wenn sich Massen an mehreren hunderten Personen während einer Grünphase über eine Straße schieben. An großen Kreuzungen verlaufen die Zebrastreifen auch diagonal. Was wie ein riesiger chaotischer Ameisenhaufen aussieht, löst sich blitzschnell wieder auf, sobald die andere Straßenseite erreicht ist. Die Japaner faszinieren mich mit ihrem Stil, überall sieht man hippe Trendsetter, schicke Geschäftsmänner und lebende Mangafiguren in gewagten Kostümierungen, die bis ins Detail durchgeplant sind und ihre Träger wie Puppen aussehen lassen.
Die unterschiedlichen Viertel Tokios zeigen die unterschiedlichsten Gesichter. Diese Stadt bietet Zukunftswelten und Traditionelles in unmittelbarer Nachbarschaft.
Grell, laut und bunt, das ist Shibuya, das Trendviertel von Tokio, ein Zentrum der Jugendkultur mit Einkaufsmöglichkeiten, Unterhaltung und Nachtleben. Hier zeigt sich die Stadt als eine moderne zukunftsorientierte Welt, hier findet man das Tokio der Neonreklamen und Menschenmassen, wie man es aus dem Fernsehen kennt.
Ähnlich jugendlich, aber mit einem anderen Charme präsentiert sich Harajuku mit kleinen Häusern, in denen sich Geschäfte mit bunten Waren befinden. Auf den Straßen sieht man, was die japanische Szene und der westliche Trendsetter trägt.
Akihabara ist dagegen das Einkaufsparadies für Elektronikartikel, hier hört man die Geräusche von Spielautomaten zu jeder Tages- und Nachtzeit. In grellem Neonlicht werden Neuerungen der Branche angeboten, die in Europa zum Teil noch nicht einmal auf dem Markt sind.
Das Tokio bei Tage ist in jedem Falle ein anderes als die nächtliche Welt – der Rotlichtbezirk ist bei Tage praktisch völlig unkenntlich und verwandelt sich in eine normale Ecke des Gassengewirrs.
Silvester in Tokio ist allerdings für Besucher der Stadt im Prinzip kein besonders beeindruckendes Erlebnis: Das Neujahrsfest ist in Japan ein Familienfest, so sieht man, obwohl das Fest große Bedeutung hat, kaum Menschen auf den Straßen und auch das Nachtleben bietet an diesem Abend keine Besonderheiten. Da wir in unserer dünnen Kleidung, die dem taiwanesischen Wetter angemessen ist, den Temperaturen nicht gewachsen sind, verbringen wir den Abend im Hotelzimmer mit einer heißen Badewanne.
Central Tokyo war am 1. Januar komplett ausgestorben. Im Kontrast zu den anderen Bezirken, die ich bisher erlebt habe und die ständig von Menschenmassen überfüllt waren, wirkt das fast unheimlich. Während der ersten Januartage sind sowohl der Kaiserpalast als auch die Gärten geschlossen, was wir bei der Planung unserer Reise nicht bedacht hatten.
Dafür sind die japanischen Schreine und Tempel wie der riesige Shinto-ji in Asakusa komplett überfüllt. Hier begrüßt man gemeinsam mit tausenden weiteren Besuchern das neue Jahr auf spirituelle Weise inmitten von Menschenmassen und einem umwerfenden Lautstärkepegel, ein unvergessliches Erlebnis.
Zauberhaft zeigt sich auch die Umgebung des Tempels mit einem Gassengewirr, das durch Märkte und an niedrigen Gebäuden vorbei führt. Ferner könnte ich mich den Hochhausschluchten nicht fühlen. Die Geschäfte bieten Traditionelles vom Kimono über Geschirr bis hin zum typischen Glücksbringer.
Ruhe finden wir abends in einem einsamen Tempel in Ikebukuro, in dem sich außer uns kein Mensch befindet.
Tokio hat viele Gesichter, so findet man hier das traditionelle Asakusa neben der Hauptstadt der Technikfreaks, Akihabara, das hochmoderne Shinjuku neben dem schicken Ginza und das auffällig bunte Shibuya. All diese Facetten ergeben das Bild einer faszinierenden Stadt, die man erlebt haben muss
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